Trotz 30.000 Toten in Gaza fehlt der deutschen Politik Empathie, beklagt Jules El-Khatib. Der Soziologe und Ex-Linken-Sprecher in NRW schaut im Gespräch mit IPPEN.MEDIA kritisch auf Regierung und Medien.

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    9 months ago

    Vor ein paar Tagen war bei Reuters (und auch aufgegriffen von US-Medien) eine Meldung zu einem UNRWA-Bericht, in dem Israel vorgeworfen wird, dass sie UNRWA-Mitarbeitern falsche Geständnisse abpressen durch Folter.

    Finde ich ein hervorragendes Beispiel, weil es zeigt, wie schwierig es ist, überhaupt an verlässliche Informationen zu kommen.

    Erstens: Quelle ist UNRWA, die ja selbst in der Kritik stehen, weil sie parteiisch seien, und die sich selbst wiederum “nur” auf Berichte von Gefangenen berufen (bei denen logischerweise auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie neutral sind).

    Jetzt will ich den UNRWA-Leuten nicht per se Antisemitismus o.ä. unterstellen - wenn ich ständig das Elend in Gaza miterleben müsste, würde mich das natürlich verändern. Und selbst wenn man parteiisch ist, heisst es ja nicht, dass man lügt. Ähnliches gilt für die Gefangenen als Quelle: natürlich kann das die Wahrheit sein (ich halte es auch für wahrscheinlich), aber es gibt eben keine halbwegs neutrale Quelle (auch wiederum logisch, in solchen Gefängnissen). Aber es ist eben keine verlässliche Information.

    Zweitens: Im verlinkten Artikel ist nicht von Folter die Rede, sondern von “coercion”. Das kann nach meinem Verständnis auch z.B. Versprechungen zu einem Strafnachlass umfassen. Da frage ich mich immer, warum man das macht (zumal es ja in beiden Fällen illegal sein kann - je nach Rechtssystem). Alles, was ich in diesem Augenblick sicher weiß, ist dass sich die Person entweder nicht gut mit der Materie auskennt (wenn ich als jemand ohne Ahnung das schon widerlegen kann) oder dass sie vorsätzlich die Unwahrheit sagt. Das senkt meine Motivation natürlich gewaltig, mich dmait weiter auseinander zu setzen, weil ich nicht die Zeit/Energie/Lust habe, mich durch das gesammelte Halbwissen des Internets zu wühlen.

    Wiederum gilt, dass die Person ansonsten richtige Sachen sagen kann. Sie sind aber nicht verlässlich (ohne aufwendige Eigenrecherche, was uns aber u.a. wieder zu erstens führt).

    Als Fazit bleibt für mich zum einen die Frage, worüber sollte berichtet werden? Das sind schwerwiegende und nicht unrealistische Vorwürfe, was für das Berichten spricht. Allerdings gibt es eben auch den Effekt, dass irgendwas schon hängen bleibt, wenn man Vorwürfe nur oft genug wiederholt.

    Zum anderen finde ich es wichtig, z.B. Forderungen nach einem Komitee wie dem CPT aufzustellen - auch wenn das in der aktuellen, stark emotionalisierten Situation schwer umzusetzen sein wird und langfristiges Handlen schwer auszuhalten ist, wenn aktuell Menschen vermutlich gefoltert werden. Aber ich sehe keine realistisch umzusetzende Alternative, und hier könnte man die Regierung am ehesten in Erklärungsnöte bringen und Verbündete in der liberaleren israelischen Bevölkerung finden (vermute ich).

    Außerdem denke ich manchmal, ob man einzelne Berichte so sehr in den Vordergrund rücken sollte. Die israelische Regierung hatte ja ursprünglich selbst gesagt, dass die Auswahl ihrer Ziele auf den Aussagen von Hamas-Gefangenen beruht. Was denken die Leute denn, wie die an die Aussagen gekommen sind? Freundlich fragen? Das finde ich persönlich einen viel überzeugenderen Beleg für Folterungen als “Artikel über einen unveröffentlichen Bericht über Aussagen von Gefangenen”. Und das sollte bereits Grund genug sein, um der israelischen Regierung eine rote Linie aufzuzeigen.

    Ist aber für die Politik natürlich schwer zu vertreten, wenn man selbst Folterlager betreibt oder dafür sorgt, dass Menschen dort gefangen bleiben.

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