Windkraftanlagen aus Holz sind anscheinend eine Möglichkeit, um erheblich an CO2-Emissionen und Kosten zu sparen.
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Windkraft: Holzturm-Konzept aus Hannover vor dem Durchbruch? Läuft gut: Holzturm-Windrad Timbertower in Hannover-Marienwerder.
Die Windkraftanlage Timbertower in Hannover war die erste und ist die größte ihrer Art: Seit gut elf Jahren liefert der hier auf einem Holzturm sitzende Generator Strom, bislang annähernd 30 Millionen Kilowattstunden. Und die Anlage hat eine Laufzeitgenehmigung bis 2032. Das ist das Positive daran.
Weniger gut: Das „echte Leuchtturmprojekt für Niedersachsen“ (der damalige Ministerpräsident David McAllister, CDU, bei der Inbetriebnahme), damals ausgezeichnet als „Erfolg des Jahrzehnts“ von der Wirtschaftsförderung Hannoverimpuls, hat nicht Schule gemacht. Nirgends.
Zeitenwende in der Windkraftbranche?
Bislang jedenfalls – denn das ändert sich gerade: Ein Projekt mit Partnern aus Schweden und Finnland ist schon dabei, dem Prinzip des Holzturms für Windräder neues Leben einzuhauchen. Auch der Entwickler des Timbertowers, Gregor Prass, ist mit seiner Holzturm GmbH im Spiel und optimistisch, dass das Prinzip endlich aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Denn ein Holzkonzern will weiterentwickelte Timbertower Realität werden lassen – auch am Rande der Region Hannover.
Emotionen statt Fakten?
Warum bislang keiner das Timbertower-Konzept übernommen und umgesetzt hat, trotz der Vorteile von Aufbauaufwand, Lebensdauer und Kohlendioxidvermeidung bis zur Nachhaltigkeit am Ende, wenn der Turm abgebaut werden muss? „Ich kann da nur raten,“, sagt Ingenieur Prass, „das hat sicher viel mit Emotion zu tun. ‚Was ich nicht kenne, worüber ich nichts weiß, das mache ich nicht.‘ Aber darüber will ich nicht weiter spekulieren.“
„Viele Windkraftprojekte sterben gesehen“
Das bisherige Scheitern der Holzturmlösung in den bald elf Jahren seit dem Bau des Prototypen in Hannover sei nie eine Frage der Technik gewesen, die unbestritten in allen Belangen vorteilhaft sei. Es habe schlicht an der fehlenden Bereitschaft gelegen, es einfach zu tun. Jetzt habe sich das geändert, sagt Prass.
Mittlerweile, nach 17 Jahren Arbeit am Konzept Timbertower, nehme er das „nicht mehr persönlich“. Und er beobachtet „einen Wandel: In den Köpfen ist angekommen, dass wir die Klimakatastrophe begrenzen müssen – das erreicht immer mehr Menschen!“ Nun äußerten sich „zunehmend jene zu dem Thema positiv, die bisher dafür nicht erreichbar waren!“
Auch wenn seine Erfahrung lautet: „Ich habe in der Windkraftbranche zu viele Projekte sterben sehen.“ Er wolle sich weiter um das Thema Holzturm kümmern. Das Thema sei nicht tot, das werde jetzt wieder losgehen, sagt er. Und für seine Zuversicht gibt es einen Anlass.
Schweden-Projekt mit potenten Partnern
Tatsächlich richtig losgehen und Fahrt aufnehmen könnte eine Holzturm-Ära der Windkraft zunächst in Schweden, wo die junge Firma Modvion finanzstarke Partner gewonnen hat: den finnisch-schwedischen Holz-, Papier- und Verpackungskonzern Stora Enso (einer der größten der Branche) und den dänischen Turbinenhersteller Vestas (Nummer drei weltweit). Die EU ist über ihren European Innovation Council Fund (EIC) beteiligt, hat 6,5 Millionen Euro investiert. Seit 2020 steht ein Modvion-Prototyp auf der Insel Björkö bei Göteborg (nur 30 Meter hoch), noch im laufenden Jahr soll ein 100-Meter-Turm für Varberg Energi errichtet werden. Die Planung für einen 150-Meter-Turm läuft ebenfalls – da ist der Energiekonzern Vattenfall mit im Spiel.
Investor war etwas vollmundig
Solche Startbedingungen hatte der Timbertower in Hannover nie. Edwin Kohl, größter deutscher Arzneimittelimporteur, Investor und längst Alleineigentümer der Anlage, konnte da weder finanziell noch mit Branchenkompetenz mithalten und hat es bei dem einen Turm in Marienwerder belassen – seine Ankündigung von 2012, er werde alles tun, diese Firma großzumachen, war letztlich zu vollmundig.
Musterbeispiel für bremsende Bürokratie
Kohls Sprecher Karsten Wurzer sagt heute: „Die Gründe dafür, dass sich der Holzturm dieser Bauart (…) nicht durchsetzen konnte, sind vielschichtig und, um es knapp zu sagen, es ist ein Musterbeispiel deutscher Bauvorschriften und bürokratischer Prozesse.“ Um alle Genehmigungen zu erhalten, hätte Kohl viel Aufwand betreiben müssen – bei einem „langwierigen bürokratischen Prozess mit ungewissem Ausgang“ und der in der Branche herrschenden Innovationsskepsis sei das Risiko für den Investor zu groß gewesen.
Turm in der Praxis: Werte besser als erhofft
Die errichtete Anlage dagegen habe ihr Soll mehr als erfüllt: „Nach gut der Hälfte der genehmigten Laufzeit zeigen uns die Messdaten, dass der Turm in einem sehr guten Zustand ist und die ursprünglichen Erwartungen übertrifft.“ Was nach Laufzeitende 2032 passiert, sei noch offen.
Skandinavier wecken neue Hoffnung
Modvion habe sich in Hannover am Timbertower einiges abgeschaut, sagt Prass; die Schweden hätten nur eine etwas andere Holzkonstruktion gewählt, und ihr Turm sei rund. Er habe Modvion mehrfach geschrieben, „ihnen gratuliert und gesagt, dass ich das toll finde – meine Expertise ist dort aber nicht gefragt, die haben sich nicht bei mir gemeldet“. Gemeldet hat sich bei dem Ingenieur dafür nun Holzgigant Stora Enso, der schon Modvion unterstützt – und damals die Holzmodule für den Timbertower lieferte.
Weitere Holztower am Rande der Region?
Die Skandinavier wollen demnach für derzeit acht Projekte allein in Deutschland mit etwa 16 Windrädern nach weiterentwickeltem Prass-Konzept die Turmbauteile liefern – Nabenhöhe 165 Meter, mit Flügeln auf 250 Meter hinaufreichend, und mit Sechs-Megawatt-Generator ausgestattet. Zwei Anlagen seien in Nienburg nahe Hannover geplant, weitere in Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Hessen. Die Typgenehmigung soll unmittelbar bevorstehen.
Holzgigant: Ja, wir wollen so was machen!
Stora Enso hält sich noch etwas bedeckt, bestätigt nur die Partnerschaft mit Prass’ Holzturm GmbH und dass man auch in Deutschland Industriepartner suche, um Windkraftanlagen aus Holz bauen zu können. Konzernchef Saki Boukas: „Wir sind fest entschlossen, (…) in diesen Markt einzutreten und unsere Expertise im Bauen mit Massivholz im Hochbau mit der nötigen Stabilität in weltweiten Projekten zur Verfügung zu stellen.“
Format: Höher als der Fernsehturm Berlin
Die Größe des großen Bruders des Timbertowers aus Hannover dürfte kein Problem sein: Prass hat nach eigenen Angaben zuletzt im vergangenen Jahr für Beventum, ein Unternehmen des Bundes, im vergangenen Jahr einen 300 Meter-Holzturm entwickelt, mit 85 Meter langen Flügeln an einem Sechs-Megawatt-Generator. Eine solche Anlage, so sie nach der erhofften Typgenehmigung gebaut würde, wäre 17 Meter höher als der Fernsehturm am Berliner Alexanderplatz.
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Auch in Österreich wird derweil am Holzturmkonzept gearbeitet: Die Green Tower Entwicklungs GmbH des Holzkonzerns Hasslacher Gruppe will noch im Herbst einen Prototypen mit 97 Prozent Holzanteil errichten – im Gegensatz zu den anderen Turmkonzepten in offener Fachwerkbauweise, also ähnlich wie ein Mast für Hochspannungsleitungen.
Spannend. Wenn sich die angekündigten Projekte mit 6 MW und 165m Nabenhöhe realisieren lassen, wären die Anlage voll auf der Höhe der Zeit.