“Diese Politik schafft humanitäre und strategische Probleme.” Eine Gruppe führender Historiker, Osteuropaexperten und Politiker appelliert an Deutschland und den Westen, ernst zu machen bei der Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland. Der Aufruf wurde von dem Münchner Historiker Martin Schulze Wessel, der Politikwissenschaftlerin Claudia Major und dem CDU-Politiker Norbert Röttgen initiiert.

Die Ukraine verteidigt die Freiheit und Sicherheit des Westens. Dieser Satz ist richtig und er fehlt in kaum einer offiziellen Rede über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Doch hat sich zwischen der Rhetorik der “Zeitenwende” und der tatsächlichen militärischen Unterstützung der Ukraine eine Kluft aufgetan. Statt schnell und umfassend zu liefern, was erforderlich ist, und die Voraussetzungen für eine langfristige Rüstungsproduktion zu schaffen, läuft die Politik Deutschlands und des Westens darauf hinaus, der Ukraine gerade so viel zu geben, dass sie den Krieg fortführen kann, aber nicht genug, um ihn erfolgreich zu beenden.

Diese Politik schafft humanitäre Probleme, denn die Zahl der zivilen und militärischen Opfer steigt, je länger der Krieg dauert. Russlands Krieg zielt auf die Integrität und Unabhängigkeit, ja auf die kulturelle Existenz der Ukraine: Die Vergewaltigung und Folterung der ukrainischen Bevölkerung und die Entführung von Kindern nach Russland mit dem Ziel der Assimilierung hat in der russischen Besatzungspolitik System.

Diese Politik schafft aber auch ein strategisches Problem. Denn Russlands Ziele beschränken sich keineswegs auf die Annexion der ukrainischen Regionen Krim, Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson, die zusammen mehr als zwanzig Prozent des Staatsgebiets der Ukraine ausmachen. Unverhohlen droht die russische Politik weiteren Staaten wie der Republik Moldau und den baltischen Staaten. Langfristig bedroht Putins Russland das gesamte westliche Bündnis. Falls Russland seinen Krieg mit dem Erfolg einer Teilung der Ukraine beendet, wird dies die Glaubwürdigkeit des westlichen Sicherheitsversprechens auch für NATO-Mitglieder in Nordost- und Mittel- und Südosteuropa erschüttern. Russlands imperiale Ambitionen werden dadurch weiter angestachelt werden. Um eine dominante Position Russlands in Europa zu verhindern, ist die Eindämmung der russischen Expansion in der Ukraine notwendig.

“Einigkeit und Recht und Freiheit” sind die Ziele der Ukraine, nicht eigene Eroberungen. Es sind Prinzipien, die auch Deutschland für sich proklamiert. In der Unterstützung der Ukraine gibt es keine Spannung zwischen werte- und interessengeleiteter Außenpolitik. Die Ukraine verteidigt unsere Werte, und unser existenzielles Sicherheitsinteresse gebietet es, sie dabei mit aller Kraft zu unterstützen, solange sie selbst diesen Krieg auf sich nimmt.

  • Xenon@lemmy.worldOP
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    11 months ago

    Freiheit und Demokratie Europas retten, schön und gut, aber alles zu seiner Zeit. Unser Finanzminister von den Freien Demokraten findet Schuldenabbau zur Zeit eben wichtiger. Man kann schließlich nicht jedes Mal, wenn Freiheit und Demokratie auf unserem Kontinent bedroht sind, gleich eine Notlage ausrufen. Ob sich Putin vielleicht zu einem Waffenstillstand hinreißen ließe, bis die deutsche Schuldenquote wieder unter 60% liegt?

    • Quacksalber@sh.itjust.works
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      11 months ago

      Ich finde ja krass, was jetzt wohl aus Putins Dunstkreisen geleaked ist. Die hatten wohl geplant, wäre die deutsche Gazprom Tochter nicht unter staatliche Aufsicht gestellt und russisches Gas nicht so konsequent ersetzt worden, Deutschland gezielt und breitflächig das Gas abzudrehen. Sowohl für Privatgaushalte, als auch die Wirtschaft. Wenn das wahr ist, und davon gehe ich aus, dann wäre das e8n sehr agressiver Akt gewesen. Danach hätte der Support der Ukraine wahrscheinlich sehr viel entschiedener ausfallen können.

    • letmesleep@feddit.de
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      11 months ago

      Das Behämmerte ist, dass Schuldenabbau und das Reißen der Schuldenbremse kein Widerspruch sind. Bei 5% Inflation und einer Schuldenuote von 67% sinken die Schulden effektiv um 3,4 Prozentpunkte pro Jahr, selbst wenn kein Euro zurückgezahlt wird. Die 0,3 Prozent Neuversschuldung, die die Schuldenbremse erlaubt sind also ca. ein Zehntel dessen, was man effektiv machen könnte.

      Wenn wir Wirtschaftswachstum hätten, könnte man noch sehr viel mehr Schulden aufnehmen, ohne dass es ein Problme wäre.

  • aronian@feddit.de
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    11 months ago

    Wir haben da echt alles falsch gemacht. Die Rüstungshilfen hätten auf einen Schlag und in großem Umfang kommen müssen. Das gleiche mit den Sanktionen.

    Eine Wirtschaft wie die russische wird sich irgendwann auf westliche Sanktionen einstellen, insbesondere weil China und Indien bereitstehen. Aber das dauert. Hätte man auf einen Schlag harte Sanktionen in allen Bereichen verhängt, hätte das die russische Wirtschaft taumeln lassen können.

    Und auch jetzt noch können Russen noch entspannt in der EU Urlaub machen und zuhause das Abmetzeln der Ukrainer feiern.